Unser Club-Mitglied Régine Deguelle besuchte im April die Ukraine. Ihre Begenungen mit Zonta-Mitgliedern aus drei Zonta Clubs sowie ihre Erlebnisse auf der Reise hat sie in einem Tagebuch festgehalten.
Reise nach Lviv
Tag 1 Anreise (Berlin, München, Krakau, Przemysl, Lviv)
Die Anreise war etwas mühsam, weil gestreikt und der Flug auf später umgebucht wurde. Von Krakau nach Przemysl dauerte es dann noch mal über drei Stunden, weil der Zug verspätet war. Gegen 22:30 war ich da und sollte noch auf Nataliya warten. Sie hat mich mit dem Auto vom Bahnhof abgeholt. Wie immer hat es an der Grenze lange gedauert. Sie kam dann erst nach ca. einer Stunde in Polen an. Der Bahnhof in Przemysl ist ein alter schöner Bahnhof mit einem großen Warteraum, der in dieser Nacht voll besetzt war. Wahrscheinlich wollten viele der Wartenden weiter nach Polen oder in die Ukraine fahren. Ein Taxifahrer sprach mich an und da er deutsch konnte, haben wir uns ein wenig unterhalten. Es stellte sich heraus, dass er Ukrainern gegenüber sehr feindselig eingestellt war. Auch schimpfte er auf die vielen Zigeuner, die hier zahlreich in Zügen weiter nach Europa führen, um dort zu stehlen und zu betteln.
Über den Streik in Deutschland hat er sich auch aufgeregt, weil wir Deutschen doch eh schon so viel verdienen. Verglichen mit Polen hat er sicher recht. Nun ja.
Ich war froh, als Nataliya endlich aufgetaucht ist. Dann ging es gleich wieder zurück. Die Grenze ist dort tatsächlich ganz nah. In der Nacht haben wir es in ca. eineinhalb Stunden geschafft.
Die Grenze ist ein gleißend heller Ort in der dunklen Landschaft; auf polnischer Seite alles neu und ordentlich. Als wir diese Kontrolle hinter uns hatten kamen tiefste Schlaglöcher über die wir nur sehr langsam und vorsichtig fahren konnten. Die Ukraine hat Renovierungsbedarf! Kurz hinter der Grenze, auf Parallelen Straßen, abgedunkelte Fahrzeuge, teilweise mit tarnfarbenen Planen abgedeckte Riesentransporter. Ob das die deutschen Leopards waren? Um das zu erkennen war es alles zu dunkel und schemenhaft.
Nataliya hat eine Raststätte angefahren, um dort etwas zu essen. Und so habe ich in der Nacht vom 23. auf 24. März 2023 meinen ersten Instant Bortsch aus dem Plastikbecher gegessen. Er schmeckte überraschend gut. Danach ging es dann weiter nach Lviv, dass ca. 80 km von der Grenze entfernt liegt.
Am Rande der Innenstadt, ein Kontrollposten. Aufgeschüttete Erde, Eisenschienen zu Kreuzen, als Panzersperren, Holzpaletten, alles Mögliche. Nataliya zeigt wie schon an der Grenze, freundlich und selbstbewusst die Papiere und wir werden weiter gewunken. Nataliya ist Ärztin und darf deshalb auch während der Sperrstunde unterwegs sein.
Ankunft in der schönen Innenstadt von Lviv gegen 2:30. An schönen alten Bauten aus dem 19. Jhd. auch viel Jugendstil fahren wir entlang bis zum Hotel Atlas. Nach etwas Suchen und Klopfen wird uns aufgemacht. Der Portier holt noch die Rezeptionistin aus dem Schlaf. Kurze Einführung von Nataliya und schon werde ich auf mein Zimmer gebracht. Kein Pass, kein Ausweis, nur eine Unterschrift.
Tag 2
Rathaus, Militärkrankenhaus, Lviv, Truskavets - Kurort und Rehazentrum für verwundete Soldaten, AE und Soldatenfriedhof
Kurz vor 10h holt mich Nataliya ab und wir fahren zum Rathaus. Dort Treffen mit der hochschwangeren Natalia Bunda. Sie leitet die Abteilung für Entwicklung
Sie ist schwanger und wohl nur noch wenige Tage am Arbeiten. Sie erzählt von vorbildlichen Einrichtungen für Flüchtlinge und einem Krankenhaus, in dem Soldaten versorgt werden. Es ergibt sich eigentlich nichts aus dem Gespräch. Nataliya lehnt höflich ab, eine der erwähnten Einrichtungen zu besuchen. Sie will danach mit mir in ein „echtes" Militärkrankenhaus fahren.
Es ist ein relativ großes Krankenhaus, in dem sie selber auch arbeitet. Sie ist Augenärztin und operiert dort die Soldaten, die im Gesicht verletzt sind. Auf sieben Stockwerken liegen dort die Soldaten in Zimmern mit jeweils ca. sechs Betten so eng, dass kaum Platz ist für eine Anlage und persönliche Gegenstände. Wieviel mögen hier liegen? Hundert auf jedem Stockwerk? Vielleicht also siebenhundert?
Bis auf die Ärzte und Schwestern tragen alle Uniform, selbst einige in ihren Betten. In den Zimmern liegen sie schweigend, die Blicke abgewendet, jeder für sich. Die Decken sind zurückgeschlagen, das Geschlecht mit einem Tuch bedeckt. Ihnen fehlen ein Bein, ein Unterschenkel, eine Arm eine Hand, manchmal beides. Krücken lehnen an der Wand, manche haben Besuch von ihren Familien, Eltern, Frauen, Kinder.
Der Stationsarzt und Chirurg zeigt mir Bilder von Soldaten ohne Augen, mit Splitterverletzungen Gesicht. Einem fehlt auch die Nase. Phosphorbomben sagt Nataliya.
Im Aufzug schiebt ein Vater seinen Sohn im Rollstuhl herein. Ein Tuch bedeckt seinen Kopf. Keine Reaktionen, tote Augen. Seine Frau mit der ca.zweijährigen Tochter auf dem Arm dahinter.
Ein Soldat in Uniform mit Daunenweste überm Arm kommt dazu. Wie bei allen Soldaten ist seine Blutgruppe groß auf seine Jacke gestickt. Trotzdem keine Garantie fürs Überleben.
Wenig Hoffnung ist hier. Der Geruch? Kein Desinfektionsmittel, kein Gestank von Blut, Fleisch oder Verwesen auch kein Testosteron; einzig Zigarettenrauch ist überall. Die Soldatendroge.
Nataliya wollte mir dieses KH zeigen, weil sie hier oft operiert. Es ist kein Vorzeigekrankenhaus, es ist die Wahrheit, wie sie sagt.
Am Mittag fahren wir nach Truskavez, ein Kurort am Fuße der Karpaten. Hier hat Nataliya in einem Krankenhaus gelernt und hier hat sie auch noch einmal in der Woche eine Sprechstunde.
Hier kommen verwundete Soldaten zur Rehabilitation hin. Sozialistischer Baustil, wenig Luxus und wenig Altbauten. „Nataliyas" Krankenhaus ist sehr einfach ausgestattet. Sie zeigt mir den kleinen Raum in dem sie operiert. Veraltete Instrumente, aber immer noch gut. Eine weiße Vitrine mit einem Sammelsurium an Medizin und Geräten erinnert mich an die, die ich zuletzt 1990 in Tirgu Mures in einem rumänischen Kinderheim gesehen habe.
Tuskavet liegt ca. 80 km von Lviv entfernt. Für diese Strecke brauchen wir eineinhalb Stunden.
Am Abend treffen wir uns mit den Zontafreundinnen aus Lviv und Uzhhorod in einem typisch ukrainischen Restaurant. Große Wiedersehensfreude, viele Trinksprüche zu aller Ehren, Vodka, Wein und Emotionen.
Der Abend ist aber noch nicht zu Ende. Nach dem Essen fahren wir mit einer kleinen Gruppe in drei Autos zu einem Soldatenfriedhof mitten in Lviv. Gräber über Gräber in der Dunkelheit von zwei Scheinwerfern und den vielen Grableuchten erhellt. Ukrainische Fahnen auf allen Gräbern, manche mit Blumengestecken in Gelb und Blau, alle mit einem Foto des Menschen, der sein Leben gelassen hat. Wir legen gelbe Rosen auf den Gräbern ab, die Zontarose.
Vom Soldatenkrankenhaus zum Soldatenfriedhof ist es hier nicht weit. Was davor war, zeigen uns manchmal die Bilder aus den Nachrichten.
Jede Zontian hier hat einen Verwandten der gefallen ist, einige, die kämpfen. Eine grausame und traurige Realität. An diesem Tag habe ich eine Idee davon bekommen.
3. Tag
Stadtbesichtigung
Wie sieht eine Stadt im Krieg aus? Eigentlich ziemlich gut, wenn sie soweit im Westen liegt wie Lviv. Ein Stadtführer zeigt unserer Gruppe aus ukrainischen Zontians und mir auf ukrainisch die Sehenswürdigkeiten. Lviv, die sechstgrößte Stadt der Ukraine, ca. 717.000 Einwohner vor dem Krieg, Ostgalizien. Früher altrussisch, früher österreichisch, früher polnisch, Heimat vieler Völker und Religionen. Unesco Weltkulturerbe mit Bauwerken der Renaissance, des Barock, des Klassizismus und Jugendstils. Seit Beginn des Krieges zeitweilig Sitz vieler internationaler Organisationen und Botschaften. Benannt nach Leo dem Ersten von Galizien. Jede Ethnie gab dem Löwen seine eigene Übersetzung. Polnisch und Russisch Lwow, Jiddisch und Deutsch: Lemberg, Französisch Leopol, Italienisch Leopoli.
Das Stadtzentrum ist nach über einem Jahr Krieg nicht mehr so stark geschützt, wie noch vor ein paar Monaten, als hier in der Umgebung reichlich Bombeneinschläge waren. Viele Statuen wurden entfernt und sind nur noch als Plakat zu sehen mit dem Hinweis: „Bald, nach dem Krieg werden Sie mich wiedersehen. Die Stadtbibliothek ist mit Sandsäcken in den Kellerfenstern geschützt. Andere Skulpturen und Verzierungen an den Häusern sind in Schutzmaterial eingehüllt, wieder andere stehen frei.
Soldaten sind überall unterwegs. Die Stadt wird auch nach Innen gut geschützt. Nicht nur Angriffe von außen werden befürchtet, auch Spione und Saboteure.
Nataliya hat für uns die „Liebes-Führung" gebucht und so erfahre ich allerhand über die politischen Kinderehen vergangener Fürstenhäuser, die heute romantisch verbrämt werden.
Marianna, Olena/Helen und Katherina übersetzen abwechselnd für mich.
Kleine Kaffeepause und unser Meeting begint.
Im Keller des Hotels wird erstmal die Heizung aufgedreht. Die Technik funktioniert und Area Direktorin Olena Kovalchuk begrüßt uns. Ich habe ein wunderschönes in Leder gebundenes Notizbuch geschenkt bekommen und schreibe mit.
ZC Uzhhorod
Die Präsidentin Natalia Mytrovtsii, eine Ärztin, Leiterin der Neurologie an einem Krankenhaus in Uzhhorod berichtet aus ihrem Club.
Uzhhorod hat seine Einwohnerzahl (von ca. 120.000) durch die Flüchtlinge aus der Ost-Ukraine fast verdoppelt. Die Mitglieder vom ZC Uzhhorod haben vom ersten Moment an mitgeholfen, die Flüchtlinge zu versorgen. Dazu arbeiten sie auch mit anderen Organisationen wie zum Beispiel dem Roten Kreuz zusammen.
Sie unterstützen eine Kantine für Flüchtlinge unter anderem mit unseren Spenden.
Nach den Zerstörungen der Infrastruktur im Winter 2022/2023 konnten sie mit unseren Spenden elektrische Generatoren für ihre Mitglieder und eine Wärmestube anschaffen. Die Wärmestube war bis 1.4. geöffnet. Hier konnten sich Einwohner und Flüchtlinge ohne Heizung, aufwärmen, ausruhen und essen. Es gab künstlerische Workshops für Kinder und Erwachsene.
Wichtige Projekte des Clubs waren auch die Förderung einer Theater- und Film-Gruppe. Die psychische Betreuung gewinnt mehr und mehr an Bedeutung. Ein geplantes „Invincibility-Center" gehört wohl dazu. Im April soll es ein neues Projekt für Frauen, geben die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Hier engagiert sich der ZC Brooklyn/New York und der ZC Corvalis/Oregon.
Dr. Ambereen Sleemy aus NY und Pete Bober aus Corvalis/Oregon reisen dafür im April nach Uzhhorod. Ziel ist wohl, Ärzte für Frauen mit diesem Trauma zu sensibilisieren und zu schulen.
ZC Uzhhorod unterstützt finanziell Frauen von gefallenen Soldaten.
In der Textil-Fabrik „Parada" von Club Mitglied Myroslava Kalamanyuk sind schon zahlreiche Flüchtlingsfrauen angestellt. Die Fabrik hat ihre Produktion auf Bekleidung und Bedarf für Militär erweitert, nachdem bekannte Westeuropäische Marken ihre Aufträge zurückgezogen haben. Mit Beginn des Krieges wurde ihnen die Situation anscheinend zu unsicher.
ZC Lviv
Die Präsidentin ist Nataliya Preys, eine Augenärztin und Leiterin der Ophthalmologie an einem Krankenhaus in Lviv.
Auch die Mitglieder von Lviv bekamen elektrische Generatoren von unseren Spenden.
Sie unterstützen ein Waisenhaus für behinderte und nichtbehinderte Kinder. Die Spenden waren Lebensmittel, Bettzeug, Einrichtung, Lampen, Tablett Computer für einige der Kinder.
Weiter unterstützten sie Soldaten mit Power Banks und elektrischen Generatoren und medizinische Erste-Hilfe-Geräten.
Ein Soldat, 21 Jahre alt, nahm an unserem Meeting teil und bedankte sich für die Hilfe. Er war mit drei Kameraden im Kampf. Sie wurden angegriffen, nur er überlebte mit einer schweren Verletzung an der Schulter. Dank unserer Medizin Spenden konnte er versorgt werden.
Bald wird er wohl wieder an die Front ziehen.
Dank der Spenden des District 27 konnten wir Nataliya Preys ophthalmologische Instrumente für Augenoperationen bezahlen. Sie konnte damit schon vielen Soldaten und Zivilisten mit einer OP helfen.
ZC Lviv Zamok
Präsidentin Luba Maksymovych berichtet. Luba ist schon lange in einer Organisation engagiert, die Frauen in Not hilft. Mit Beginn des Krieges hat sie ihr existierendes Frauenschutzhaus für Flüchtlinge geöffnet. So früh wie möglich hat sie neben Schulmaterialien für Kinder, Lebensmittel, Kleidung und Bettzeug auch psychologische Hilfe angeboten und auf die Gefahren von Zwangsprostitution aufmerksam gemacht.
Mithilfe ihrer Unterkunft konnten auch ganze Gruppen von kranken Menschen aus den Kriegsgebieten evakuiert werden.
Aktuell unterstützt sie mit anderen Organisationen 80 Familien in diversen Flüchtlingsunterkünften. In einem Industriegebiet am Rande von Morschyn, einem Kurort, baut sie gerade eine Unterkunft aus, die ca.10 Familien Platz bieten soll.
Am Ende des Treffens tauschen wir Geschenke aus. Ich habe ca.1 kg belgische Pralinen mitgebracht, die ich nun verteile. An die Area-Director, die Präsidentinnen und andere verteile ich die mir verbleibenden Twillys vom ZC Bielefeld. Sie freuen sich sehr darüber.
Und natürlich bekomme auch ich Geschenke, darunter eine typische ukrainische bestickte Bluse und eine Urkunde von der Stadt Lviv für unsere Unterstützung.
Fotos werden gemacht und dann brechen wir auf in die Oper.
Die Führung dort verpasse ich, weil wir noch eine Schalte mit den Französischen Zonta Clubs haben, die zum selben Zeitpunkt in Béziers tagen. Die Technik klappt einigermaßen und ich kann wenigstens ein bisschen von dem berichten, was ich hier sehe und erlebe. Einige Ukrainerinnen verstehen Französisch und bedanken sich für diesen Mini-Vortrag.
Die Staatsoper von Lviv wurde Anfang des letzten Jahrhunderts nach dem Vorbild der Wiener Staatsoper gebaut und bildet den Anfang (oder das Ende) eines großen langen Platzes. Gold, Marmor, Statuen und Fresken, mehrarmige Kandelaber, alles beeindruckend.
Am 25.3.2023 wird Puccinis „Madame Butterfly" aufgeführt. Wegen der Sperrstunde beginnt die Vorstellung schon um 17 Uhr und mit einem Hinweis: Sollte es einen Luftalarm geben, werden die Zuschauer gebeten, in den Keller des Gebäudes zu gehen. Sollte der Alarm länger als eine Stunde dauern, wird die Vorstellung abgesagt.
Es folgt die Nationalhymne, von vielen mit der Hand auf dem Herzen mitgesungen. Das Orchester spielt ordentlich laut.
Die Inszenierung verzichtet auf großartige Effekte, dafür sind Stimmen und Orchester eine schöne Ablenkung (auch wenn die Handlung von einer unglücklichen Kinderehe handelt – da sind die Zontians hier auch kompromisslos).
Nach der Oper zeigt sich die „Freiheitsavenue" davor so belebt wie wahrscheinlich an jedem Samstag zu Friedenszeiten. Vielleicht sogar ein bisschen mehr. Direkt vor der Oper führen drei Jugendliche einen wilden rhythmischen Tanz auf.
Am Ende dieses Tages sitzen wir, Zontafreundinnen aus Uzhhorod und Lviv, in einem Restaurant am Friedensplatz zusammen. Platten mit ukrainischen Varenyky, Salo und vielem anderen gehen herum und eine nach der anderen stehen wir auf, sprechen unsere Trinksprüche und stoßen mit Vodka, Wasser und Wein an. Es sind fröhliche, nachdenkliche und traurige Trinksprüche.
Am Ende müssen wir uns beeilen, um vor der Sperrstunde im Hotel oder zu Hause zu sein.
Ich habe erfahren, dass alle meine Zonta Freundinnen hier Soldaten in ihrer Verwandtschaft haben. Nicht wenige betrauern einen Cousin, Onkel oder Freund.
Die Realität ist: Alle sind sehr tapfer und entschlossen. Es hilft Ihnen sehr, aktiv zu sein und ihren Teil zum Sieg beizutragen. Natürlich sind sie Realistinnen. Sie wissen was gebraucht wird und sie wissen, dass es lange dauern wird und das Ende ungewiss ist. Jede für sich ist eine Heldin und es macht mich sehr stolz auf Zonta, dass wir ihnen mit unserer Unterstützung nicht nur finanziell den Rücken stärken. In dieser sehr schweren Zeit sind wir für sie da. Vielleicht spüren sie erst jetzt richtig, dass sie mit Zonta in Europa und in der westlichen Welt angekommen und angenommen sind.
4. Tag
Der Sonntag beginnt mit einem letzten Treffen aller angereisten und vieler aus Lviv. Wir treffen uns in einem Kaffee neben dem Hotel. Ja, der Kaffee in der Ukraine ist ein besonderes Kapitel: Ich habe nirgendwo im mir bekannten westlichen Teil der Ukraine schlechten Kaffee getrunken. Weder in Kiew noch in Odessa noch in Uzhhorod und schon gar nicht in Lviv. Der österreichische Einfluss? Vielleicht. Die Kaffeekultur orientiert sich allerdings mehr an der italienischen. Im Stadtzentrum stehen an vielen Ecken kleine Kaffeebüdchen und natürlich gibt es viele Cafes wie das an diesem Morgen, die es locker mit unseren Cafes aufnehmen können. Törtchen, Kuchen, Pralinen, alles ist da.
Ich verabschiede mich von den Zonta Freundinnen aus Uzhhorod und begleite heute Luba Maksymovych vom ZC Lviv Zamok nach Morshyn, einem Kurort, 80 km südlich von Lviv am Fuße der Karpaten.
Luba hat alles perfekt organisiert. Mit einem Dolmetscher und ihrer Assistentin werden wir von einem Chauffeur gefahren.
In Morshyn besuchen wir zunächst eine Unterkunft für Flüchtlinge, die mit Hilfe von Lubas Organisation und auch unseren Spenden ausgestattet wird. Das Haus steht ziemlich isoliert in einem Industriegebiet und ist fast fertig. Alles sieht sauber und modern aus. In den Küchen fehlt die Einrichtung und in den Gemeinschaftsbädern die Trennwände. Ein großer Balkon geht über eine Schmalseite des Hauses, der Dachboden soll noch ausgebaut werden. Er soll Spielfläche für die Kinder und Seminarraum für Schulungen sein.
Im Erdgeschoß ist ein Besprechungs- und Behandlungsraum für Physio- und Psychotherapie.
Etwa 8 bis 10 Familien können hier unterkommen. Jede in einem Raum, in dem die Einrichtung noch fehlt. Doppelstockbetten sind geplant. Privatsphäre gibt es wenig und leider ist der Garten auch noch nicht fertig. Unsere Spenden werden hier gebraucht, um das Haus fertig zu stellen.
Die zweite Station am Sonntag ist ein ehemaliges Sommercamp für Kinder. Seit Kriegsbeginn ist es zur Unterkunft für Flüchtlinge aus dem Osten geworden.
Die Kantine ist ein holzgetäfelter Raum, Plastiktischdecken, alles eher praktisch und einfach. Die Menschen, die mich hier erwarten, haben alle alles verloren. Sie kommen aus dem Donezk oder Dnipro, Saporischschia, Bachmut, Kramatorsk und den Dörfern in der Region. Auf ihren Handys die Fotos von ihren komplett zerstörten Häusern. So wie sie in fast jedem Bericht über den Krieg zu sehen sind. Klar. Doch es ist anders die Gesichter der Opfer zu sehen und mit ihnen zu sprechen.
Die jüngeren Frauen mit Kindern und die älteren, Paare und alleinstehende Frauen, kaum einer hat Arbeit.
Luba hält eine „Motivationsrede". Sie versucht den Anwesenden Mut zu machen und Hinweise zu geben, wie sie Arbeit finden können.
Luba erzählt, dass ein norwegischer Fonds einigen Flüchtlingen die Miete für eine reguläre Wohnung finanziert. Die anderen sind weiterhin im Sommercamp untergebracht.
Zwei Frauen arbeiten in der Küche der Kantine. Andere hatten weniger Glück.
Z.B. Irina, ca 65, sie ist seit über einem Jahr hier, hat Krebs, ein Tumor wurde ihr entfernt. Sie kann nicht arbeiten.
Claudia aus Vuhledar, ca. 65 war Leiterin des Kultur Clubs in ihrem Ort. Auch sie ist alleine hier und hat keine Arbeit.
Irina, ca. 40 die mit ihrer Mutter Antonia und den Töchtern Liza, 16 und Polina, 7 hier ist. Polina braucht Spezialnahrung. Sie ist für ihr Alter viel zu klein. Liza, verträumt und schon sehr erwachsen, möchte gerne Kunst studieren, doch wie soll sie das finanzieren? Sie zeigt mir ihre Zeichnungen auf dem Handy. Polina, frech und fröhlich, hat für mich ein Herz in den ukrainischen Farben Gelb und Blau gemalt.
Vira, 38, sehr traurig und mutlos, ist mit Tochter Maria, 8 und Sohn Ivan, 15 aus Vuhledar hierher geflohen. Ihr Mann ist in der nun von Russen besetzten Zone geblieben. Er konnte seine Mutter nicht alleine lassen. Vira erzählt, dass sie einen Bauernhof mit Milchwirtschaft hatten. Jetzt haben sie nur noch eine Kuh. Sie weiß nicht, ob sie ihren Mann nochmal wiedersehen wird. Sie weint.
Liubov und Alex, 72 und 67 Jahre alt. Beide haben ihr Leben lang gearbeitet, haben sich extra schick gemacht für das Gespräch. Sie sind seit einem Jahr hier. Wie verbringen sie den Tag? Spazieren gehen, Essen, Schlafen. Manchmal kommt der Sohn mit Familie. Er arbeite in Lviv.
Viktoria, 33, geschieden mit ihrem Sohn Alex, 9. Sie lebten in einer Wohnung in Bachmut. Nach dem Einmarsch der Russen zog sie zu ihren Eltern nach Dnipro. Das Haus hat ihr Vater gebaut. Als die Russen kamen, haben sie alles gestohlen, was im Haus war. Sogar die Toilettenschüssel. Ob das Haus noch steht weiß sie nicht. Sie mussten im Dezember fliehen. Sie hat Arbeit. Halbtags und online für eine Behörde. Daneben macht sie in der Stadt Morshyn eine Ausbildung als Frisörin. Alex geht online in den Unterricht, mit seiner alten Klasse, die überall verteilt ist.
Viktoria erzählt noch, dass sie Glück hatte: Sie war am Bahnhof in Kramatorsk, kurz bevor die Russen ihn bombardiert haben und 58 Menschen starben.
Zusammen mit einigen Kindern übergibt sie mir ein Dankesschreiben und ein großes Bild in ukrainischen Farben und Friedenstaube.
Was die Menschen erzählen wohl noch könnten, wenn ich mehr Zeit gehabt hätte?
Klar ist: Alle haben ihre Existenz verloren. Nicht jede wird es schaffen, sich etwas Neues aufzubauen. Und solange der Krieg andauert warten sie.
Auf dem Rückweg von Morshyn fahren wir an dem Elektrizitätswerk vorbei, dass bei den Angriffen auf die Infrastruktur im November 2022 stark beschädigt wurde. Heute ist nichts mehr zu sehen. Der Strom fließt wieder.
Wir kommen an einem großen Einkaufszentrum vorbei (Auchan, Metro, Zara u.a.). Es herrscht Hochbetrieb. Sonntag ist Einkaufstag, auch in der Stadt, in die wir zurückkehren.
Später sind wir noch mit vier jungen Frauen verabredet, die an Zonta interessiert sind. Sie haben alle mehrere, teils unterschiedliche Ausbildungen. Alle sind politisch und sozial engagiert. Sie sind um die Dreißig und ich hoffe, dass das mit Luba und dem ZC Lviv Zamok klappt. Mit allen vier hat Luba schon in unterschiedlichen Projekten zusammengearbeitet. Zwei waren wohl auch bei der psychologischen Betreuung in den Projekten beteiligt.
Mein Eindruck: die Zonta Clubs in der Ukraine sind auf einem guten Weg, auch wenn Luba mit ihrem Club ihren eigenen Weg geht. Sie ist mit den nationalen Frauenorganisationen vernetzt und auch international. So hat sie z.B. von der US-Organisation ‚Vital Voices' im November einen Preis für Ihr Engagement bekommen.
Der Krieg hat die Clubs an Europa und den globalen Westen angenähert und das Verständnis der Zonta Ziele verstärkt.
Eine neue Generation von Frauen ist in die verantwortlichen Positionen gerückt. Sie kennen Zonta viel besser als noch vor einigen Jahren und sie verstehen auch unsere Ziele. So hat der ZC Uzhhorod seit der Convention insgesamt schon fast 200 Dollar gespendet. Das ist gemessen an den ukrainischen Einkommen sehr großzügig.
Die Solidarität der Zontians auf der ganzen Welt ist für sie sehr wichtig. Die moralische Unterstützung genauso wie die finanzielle.
Darüber freue ich mich sehr, auch wenn der Anlass nur grausam ist.
5.Tag
Rückreise
In Deutschland wird an diesem Montag (27.3.2023) gestreikt uns so werde ich in Krakau noch einmal übernachten. Mein Rückflug geht erst am Dienstag. Das hat den Vorteil, dass wir nicht um 3 Uhr nachts aufbrechen müssen, um genug Zeit für die Warterei an der Grenze zu haben.
Nataliya bringt mit auch zurück, begleitet von der anderen Natalia aus vom ZC Lviv. Für die Grenze brauchen wir 3 Stunden, danach gibt es noch ein Abschiedsessen bei MacDonalds hinter der Grenze. Der Rest meiner Rückreise verläuft normal. Przemysl-Krakau, Hotel am Flughafen, Rückflug.
Alle Fotos dieser Seite und damit alle Rechte sind von Régine Deguelle.